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Lisa Reiter

  /  Personal   /  So habe ich den Tod meines Vaters überwunden
Meine Trauerbewältigung nach dem Tod meines Vaters anhand von Erinnerungen

Am 18. Juni 2013 habe ich meinen Vater verloren. Es war einer der einschneidendsten Momente in meinem Leben. Meine letzten Worte zu ihm waren: „Tschüss, Papa. Bis morgen.“ Keinen einzigen Gedanken verschwendete ich beim Aussprechen dieser Worte an die Tatsache, dass es kein „bis morgen“ geben würde. Mitten in der Nacht wurde ich geweckt. In unserem Haus stand die Polizei, die uns die Nachricht überbrachte, dass mein Vater im Wald zusammengebrochen und an einem Herzinfarkt verstorben sei.  

Meine erste Reaktion

Es war ein heißer Sommertag. In der Nacht hatte es nicht stark abgekühlt, darum ging ich sehr leicht bekleidet schlafen. Mit einer knappen Schlafshorts und einem BH. Und genau das war auch mein erster Gedanke. Ich fühlte Scham. Scham, wie leicht bekleidet ich vor der Polizei stand. Das waren meine ersten Gedanken und Sorgen. Nicht die Tatsache, dass mir gerade gesagt wurde, dass ich meinen Vater verloren hätte. Ohne zu weinen stürmte ich in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Sonst fühlte ich nichts. Nur Scham. Aber keine Trauer. Kein Verlangen zu weinen. 

Heute weiß ich: ich war in einem Schockzustand. Eine vollkommen natürliche Reaktion laut diversen Modellen des Trauerprozesses unterschiedlicher Psychologen, Psychiater oder Theologen. Natürlich verläuft Trauer nicht immer anhand eines Modells, aber diese Modelle (wie z.B. nach Kübler-Ross oder Spiegel) beschreiben einen Trauerweg ziemlich realitätsgetreu. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich diese Wege ähnlich gegangen bin. 

Das typische erste Verhalten ist nun einmal der Schock, aber auch das Verleugnen. Das Nicht-Wahr-Haben-Wollen. Und genau das versuchte ich auch: der Realität nicht ins Auge zu blicken. Dass die Polizei mit dieser Nachricht im Gepäck nicht zum Spaß in unserem Wohnzimmer stand, war mir von Anfang an klar. Dennoch fühlte ich mich wie in einem schlechten Traum gefangen. In mir war Leere, alles war taub und irgendwann weinte ich doch. Aber nicht aus der Trauer heraus, sondern weil ich mich von der Trauer und den Tränen der anderen mitreißen ließ.  

 

Das Leben nach dem Tod
Meine Trauerbewältigung nach dem Tod meines Vaters anhand von Erinnerungen

Verleugnung und Nicht-Wahr-Haben-Wollen

Ganz zu Beginn hatte ich nicht den Kopf, in die Trauer hineinzukommen. Zuerst mussten organisatorische Dinge erledigt werden. Ich rief meine damalige Chefin an, um ihr Bescheid zu geben und fuhr mit meiner Mutter zum Bestattungsinstitut, um die Trauerfeier zu organisieren. Ich wollte ihr unbedingt beistehen und aktiv an dem Begräbnis beteiligt sein. Ich wählte den Trauerspruch aus, gab genau vor, was auf dem Partenzettel zu stehen hatte, welches Bild drauf sein musste und dirigierte die Bestatter streng, wie der Ablauf zu sein hatte. Ich bestimmte die Farben des Trauergestecks: rote Rosen und weiße Orchideen, weil mein Vater meiner Mutter jedes Jahr zum Valentinstag einen Orchideenstock geschenkt hat. Dazu dunkelgrüne Schleifen als Symbol für den Wald und als Abschiedslied bestand ich auf ein Lied, zu dem ich mit meinem Papa als kleines Kind bei jedem Fest tanzte, wenn es gespielt wurde. Auch wenn ich mich dabei aktiv zum ersten Mal mit dem Tod meines Vaters beschäftigte, im Grunde genommen wollte ich mich nur von dem Gedanken distanzieren, dass er nie wiederkommen würde und mich ablenken. 

Danach mussten die Partenzettel ausgeteilt werden, um Verwandte, Bekannte und Freunde zu informieren. Ich wurde überschüttet mit Beileidsbekundungen und Umarmungen. Alle weinten, nur ich nicht. Hin und wieder kamen mir Tränen, doch eher wegen der Überforderung. Als ich für einen kurzen Moment alleine im Haus war, lief ich wie eine Verrückte auf und ab. Ich griff mir an den Kopf, atmete schwer, stützte mich vor dem Spiegel ab und redete mir selbst ein, dass das alles nur ein schlechter Traum sei. Ich war überfordert und weinte.   

Verzweiflung und "als ich es begriffen habe"

Die Zeit vor dem Begräbnis war weiterhin überfordernd. Ständig kamen irgendwelche Leute vorbei, um ihr Beileid zu bekunden. Ich fühlte mich wie ein Stein. Manchmal kamen mir sogar abstruse Gedanken, ich sei herzlos. Darum wollte ich mich zum Weinen zwingen, doch genau dann ging es nicht. Nur in klaren Momenten, als Menschen in meiner Nähe waren, die ich wirklich um mich haben wollte, konnte ich hin und wieder weinen. Zu dieser Zeit zeigte sich auch, WER meine wirklichen Freunde waren. Damals gingen nämlich auch Freundschaften zu Brüche, weil sie mich im Stich gelassen haben und es mich -auch wenn ich noch nicht bereit dazu war, den Tod meines Vaters zu begreifen- unfassbar enttäuscht hat. Aber auf die meisten konnte ich mich verlassen. 

Und dann stand eine wichtige Frage im Raum, mit der ich mich früher oder später befassen musste: möchte ich meinen Vater noch ein letztes Mal sehen? Ich entschied mich dafür, denn ich war langsam verzweifelt, dass ich es immer noch nicht in meinen Kopf reinbekam. Meine Mutter redete sicherheitshalber noch auf mich ein. Sie fragte, ob ich ihn nicht lieber so in Erinnerung behalten möchte, wie er zu Lebzeiten war. Sie machte sich Sorgen, dass der Anblick seines leblosen Körpers die letzte Erinnerung sein würde, die mir an ihm bleibt und diese all die anderen Erinnerungen überschatten könnte. Allerdings drängte sich mich nicht dazu, es sein zu lassen. Sie überließ die Entscheidung ganz mir. Ich blieb dabei. 

Eine Woche nachdem er verstorben war, durften wir ihn zu Gesicht bekommen. Ich spürte die Anspannung in der Luft, gleichzeitig die Angst, dass ich nun vor vollendeten Tatsachen stehen werde und es akzeptieren muss. Aber ich hielt immer noch an meinem Entschluss fest. Im ersten Moment sollte meine Mutter mit ihren Sorgen recht behalten. Als ich den Raum betrat, in dem er aufgebahrt war und ich einen ersten verstohlenen Blick in den Sarg riskierte, war das wie ein Stich mitten ins Herz. „DAS IST NICHT MEIN VATER!“, war mein erster Gedanke. Der leblose Körper, der da lag, das versteinerte Gesicht – dieser Mensch sah nicht aus, wie mein Vater. Vor mir lag ein vollkommen Fremder. An der Stelle möchte ich erwähnen, dass Verstorbene nach Eintritt der Leichenstarre immer „ein bisschen anders“ aussehen können. 

Tapfer fasste ich mich und wollte „durchhalten“. Also riskierte ich einen zweiten Blick. Ich legte meine Hand auf seine und erschauderte. Er war eiskalt. So kalt, dass die Kälte sogar noch durch seinen Anzug, den er trug, durchsickerte. Diese Kälte fühlte sich so fremd an. So anders. Nicht wie kalte Winterhände. Nicht wie durch Wasser abgekühlte Hände. Und diese Kälte passte nicht zu ihm. Papa war ein Mensch, der zu Lebzeiten voller Wärme war, auch wenn er das nicht immer zeigte. Nun war von dieser Wärme nichts mehr da. Es machte mir Angst. Ich kniff die Augen zusammen und beschloss, ihn nun ins Gesicht zu schauen, drängte mich selbst dazu, es endlich verstehen zu können und dann passierte etwas. Etwas, mit dem ich nicht mehr gerechnet hatte und all die Angst wich. Die Angst, dass das nun wirklich das letzte Bild von ihm sein würde, was in meinem Kopf existiert. 

Ich sah ihn an, in sein Gesicht und plötzlich erkannte ich ihn wieder. Seine Züge. Langsam dämmerte es mir, dass das nun wirklich die Realität ist. Dass er von uns gegangen ist. Ich richtete einzelne Worte an ihn. Endlich stiegen mir die Tränen der echten Trauer in die Augen. Und ich weinte. Und ich sah ihn an. Ganz lange. Es war befreiend. 

Dann erkannte ich seinen friedlichen Gesichtsausdruck. Ich weiß nicht, ob ich es mir eingebildet habe, aber in seinen Zügen spiegelte sich ein kleines Lächeln wieder. Papa lächelte. Und dann wusste ich, dass er nicht leiden musste. Dass es schnell ging. Ich wusste, dass er glücklich war, als er gehen musste. Er durfte dort sterben, wo er am liebsten war. Im Wald. 

Auch wenn das ein eigentlich trauriger Moment war, in diesem Moment hing für mich Frieden und Glück in der Luft. Ich freute mich für ihn, dass er so würdevoll gehen durfte. Auch wenn ich ihn gerne noch „hierbehalten“ hätte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er auch noch gerne geblieben wäre. Aber leiden musste er nicht. Er durfte, so komisch das auch klingen mag, einen angenehmen Tod sterben. Da wusste ich: ich habe es verstanden. Und ich werde es akzeptieren und weitermachen können. Auch wenn ich noch nicht wusste, wie und auch wenn nicht wusste, wann das sein würde, aber es würde passieren. 

Meine Trauerbewältigung nach dem Tod meines Vaters anhand von Erinnerungen
Das Leben nach dem Tod

Das Begräbnis

Als ich den Tod meines Vaters näher an mich heranließ, konnte ich auch mit der Trauerarbeit beginnen. In dem Moment fand ich es gut, dass ich damit schon vor dem Begräbnis beginnen konnte. Doch bei dem Begräbnis war alles wieder wie vor dem Moment, als ich mich von meinem Vater verabschiedet habe. Insgesamt kamen über 700 Menschen zum Begräbnis. Ich war überfordert mit der Masse an Menschen, den vielen Beleidsbekundungen und wieder konnte ich nicht weinen. Manche Menschen schmissen sich mir sogar um den Hals, obwohl ich nur Menschen, die mir wirklich nahestanden, umarmen wollte. Ich ließ es zu. Erstarrte dabei aber mehr und konnte einfach nicht weinen. Deswegen fühlte ich mich schlecht und hatte Schuldgefühle. Ich sagte meiner Mutter, wie schlecht und schuldig ich mich fühle, dass ich nicht weinen konnte. Ich machte mir Gedanken, was die Leute über mich denken würden. Ob sie mich als herzlose Tochter verurteilen würden. Doch meine Mutter war in diesem Moment der Fels in meiner Brandung und versicherte mir, dass ich keine Schuldgefühle zu haben bräuchte. 

Um ehrlich zu sein: am Begräbnistag hätte ich eigentlich nur meine Familie und meine Freunde um mich haben wollen. Aber mein Vater war sehr beliebt und ich konnte es auch niemanden verbieten, zum Begräbnis zu kommen. Schließlich haben wir es nicht im engsten Familienkreis geplant. An der Stelle kann ich euch aber nur ans Herz legen: wenn ihr die Entscheidungsfreiheit habt und euch eine Verabschiedung im engsten Familienkreis lieber wäre, dann macht das, solange ihr den Wunsch des Verstorbenen akzeptiert. Es ist egal, was die anderen darüber sagen oder ob sie sich aufregen, aber ein Verstorbener ist mehrere Tage aufgebahrt, sodass jeder die Möglichkeit hat, auch davor Abschied zu nehmen. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich auf eine kleinere Trauerfeier bestehen. Wenn ich zurückdenke, war das für mich ein traumatischer Tag. Andererseits war ich trotzdem gerührt zu sehen, wie viele Menschen meinen Vater wertschätzten. Darum versuche ich diesem Gedanken mehr Raum zu geben, denn das hat durchaus auch etwas Positives für mich. 

Trotzdem bin ich froh, dass es für uns Familienmitglieder noch eine privatere Verabschiedung gab. Mein Vater wurde eingeäschert und die Urnenbeisetzung fand dann wirklich im engsten Familienkreis statt. Das war für mich unfassbar wichtig, denn erst da hatte ich das Gefühl, dass ich meinen Vater endgültig verabschieden konnte.  

Wie sich die Trauer auf mich ausgewirkt hat

Wie ihr wisst, habe ich mit einer Essstörung zu kämpfen. Essen spielte auch in dieser Zeit eine große Rolle für mich. Wer denkt, ich wäre wieder in die Magersucht zurückgerutscht, der irrt allerdings. Ich habe mich nach dem Tod von meinem Vater sehr leer gefühlt. Im Grunde genommen konnte ich gar nichts mehr fühlen, selbst den Hunger nicht. Das hat mich in den Wahnsinn getrieben, weil ich um jeden Preis wieder irgendetwas fühlen wollte. Das Sättigungsgefühl war quasi das einzige, das ich spürte. So entwickelte sich meine Essstörung erstmalig, aber auch einmalig in die andere Richtung. In diese Phase bin ich übrigens nie wieder zurückgekommen und war somit eine Ausnahme. Zu der Zeit nahm ich sogar viel zu und erreichte später auch mein Höchstgewicht damit, nachdem ich kurzzeitig wieder in die Hungerphase zurückgerutscht bin. Grundsätzlich war die Essstörung verbunden mit der Trauer ein ganzes Jahr lang sehr komplex und generell hat mein gesamtes Essverhalten verrückt gespielt. 

Ansonsten war ich verschlossener als sonst. Hatte manchmal auch richtige emotionale Ausbrüche und war wahnsinnig empfindlich. Nur ein falsches Wort hätte eine Explosion der Gefühle in mir auslösen können, die aber mehr automatisiert stattgefunden hat, als gewollt. Mein Verhalten zu dieser Zeit ist für mich wirklich sehr schwer zu beschreiben. Prinzipiell nahm ich mir vieles viel zu schnell und zu leicht zu Herzen und interpretierte die kleinste Kleinigkeit oft als Ablehnung. Oft hatte ich ein schlechtes Gewissen – vor allem dann, wenn ich wieder am „normalen“ Leben teilnahm. Irgendwie wollte ich es mir auch verbieten, dass ich wieder Glücksmomente hatte oder generell Spaß. Dabei stellte ich mir sehr oft die Fragen, ob ich das auch darf. Ob das okay ist. 

Wie ich die Trauer überwunden habe

Nachdem ich einmal meine Trauer stark unterdrückte (nach dem Tod meines Großvaters), wusste ich jedoch, dass ich diesen Fehler kein zweites Mal wiederholen durfte. Darum sammelte ich mich und versuchte, mich mit meiner Trauer intensiv auseinanderzusetzen. 

In erster Linie hatte ich starken familiären Halt und Freunde, die mich auffingen. Wann immer ich jemanden zum Reden brauchte, war wer da. Meine Freunde unterstützten mich zu dieser Zeit, so gut sie konnten. Wir haben viel über meinen Vater geredet und in alten Zeiten geschwelgt. Lustige Geschichten oder über ihn als Menschen geredet. Dabei erkannte ich, wie viele schöne Erinnerungen übrig geblieben sind. Ich habe gelacht, aber auch geweint und meine Freunde akzeptierten jegliche Emotion, die ich nach außen trug. Sie lachten mit mir, als ich über eine lustige Geschichte lachte und sie trösteten mich, wenn ich weinte. Rückhalt ist in dieser Zeit extrem wichtig, aber auch Rückzug. Manchmal musste ich alleine sein und das haben sie genauso akzeptiert. Sie haben versucht, mich abzulenken, aber mich nicht dazu genötigt. Das gab mir oft das Gefühl, dass ich trotz eines Verlustes nicht alleine dastehe und es genügend Menschen gibt, die mich auffangen. 

Ich verbrachte auch viel Zeit in der Natur und ging wandern. Auch das viele draußen sein half mir. 

Außerdem habe ich mir bewusst Zeit geschaffen, in der ich an meinen Vater denken konnte. Und diese Zeit brauchte ich für mich. Ich habe damit angefangen, Fotos zu sortieren und ein Fotoalbum erstellt. Das Album besteht nicht nur aus Bildern, sondern auch aus Texten und Gefühlen, die ich auf Papier gebracht habe. Ich habe versucht, zu malen und das Album schön zu gestalten. Es gab mir das Gefühl, dass ich immer noch etwas für meinen Vater tun konnte. Ich schrieb Briefe an ihn und als die Urne beigesetzt wurde, besuchte ich oft sein Grab. Irgendwann habe ich dann auch damit angefangen, am Grab „mit ihm zu reden.“ Ich habe erzählt, wie es mir im Studium geht, welche Sorgen ich habe – das gab mir das Gefühl, dass er immer noch irgendwie an meinem Leben teilhaben konnte. 

Da mein Vater Mitte/Ende Juni verstorben ist, habe ich die Uni zu diesem Zeitpunkt auf Eis gelegt. Für eine Prüfung habe ich mich aufgerafft, die ich allerdings nicht bestand. Ich hatte somit den ganzen Sommer Zeit, mit der Situation zurechtzukommen. Natürlich ist mir bewusst, dass diesen „Luxus“ nicht jeder hat, vor allem Berufstätige. Nebenbei habe ich jedoch in einem Café gejobbt. Auch wenn mir die ersten Schichten nach dem Tod meines Vater schwerfielen, so war ich mit der Zeit froh über die Ablenkung, die ich hatte. Ich finde es wichtig, dass man den Alltag nicht aufgibt. Natürlich braucht man anfangs etwas Zeit und Ruhe, aber nach zwei Wochen versuchte ich langsam wieder in den Arbeitsalltag zu kommen. Im Herbst war ich dann auch wieder bereit für die Uni und ich konnte weitermachen.

Nachdem ich immer mehr Akzeptanz gespürt habe, habe ich versucht, neue Perspektiven zu finden. Mir neue Ziele zu formulieren, weil ich wusste, dass es auch im Sinne meines Vaters gewesen wäre, mein Leben wieder aufzunehmen. Er hat das Leben geliebt und ich weiß, dass er sich für mich das gleiche wünscht. Viele solcher Gedanken waren unfassbar wichtig für mich. Ich merkte, dass ich in einer glücklichen Position war. Ich hatte einen Vater, der sich immer für mich interessiert hat. Einen Vater, der mich von Anfang an wollte, obwohl ich nicht so ganz geplant war. Mein Vater hat mich von Tag eins geliebt und sich um mich gekümmert. Viele andere da draußen erleben das nicht und ich durfte es. Für mich war es wichtig, Gedanken neu zu formulieren. Und es war mir wichtig, dankbar anstatt undankbar zu sein. Sicher hätte ich mir immer wieder einreden können, wie unfair es ist, dass ich mit 21 meinen Vater verloren habe. ABER ich durfte 21 Jahre einen Vater haben, der da war. Und genau das zählt.   

 

Was ich euch mitgeben möchte

Vielleicht habt ihr hier Strategien erwartet, wie man Trauer gezielt überwinden kann und seid jetzt ein bisschen enttäuscht, dass ich euch „nichts“ effektiveres erzählen konnte. Doch Trauer ist individuell. Jeder von uns erlebt Trauer anders und daher sollte man sich auch nicht nach einem Leitfaden richten, der dir erzählt, wie DU deine Trauer los wirst. Vielleicht ist das eine düstere Prognose, aber die Trauer geht nie ganz weg. Man lernt, damit umzugehen. Bei mir gibt es heute noch Momente, an denen ich meinen Vater vermisse und ich immer noch Phasen durchlebe, die ich kurz nach seinem Tod hatte. Besonders Momente, die eigentlich glücklich sind, sind für mich bittersüß und mit Schmerz verbunden. Ich wünschte mir so sehr, dass mein Vater seine beiden Enkelkinder kennenlernen hätte können. Bei meiner Sponsion musste ich wegschauen, als andere Absolventen von ihren Vätern umarmt wurden. Oder die Hochzeit meiner Schwester. Das sind die typischen Momente und Tage, an denen die Gedanken an Papa sehr präsent sind. 

Doch meine Kernaussage aus diesem ganzen Wortgefecht ist eine ganz klare: nur wer Trauer annimmt, kann auch den Umgang mit ihr lernen. Und dieser wichtige, oder besser gesagt wichtigste Schritt ist ebenso der schwerste. Die erste Phase, nämlich die der Verleugnung und des „Nicht-Wahr-Haben-Wollens“ ist im Großen und Ganzen eine Sicherheitsbubble. Man hat Angst, diese Blase verlassen zu müssen. Denn der Gedanke, dass man sich danach wirklich mit dem Tod auseinandersetzen muss, ist intrinsisch. Das heißt, sie steckt in uns drin und ist von Anfang an da, auch wenn wir sie vielleicht nicht mitbekommen. Aber wenn diese Phase überwunden wurde, dann ist man bereit, die Trauer anzunehmen. Man kann den Trauerprozess auf sich wirken lassen. Dabei kann ich euch nur ans Herz legen: hört auf eure innere Stimme. Lasst die Emotionen raus, wenn sie rausmüssen, aber zwingt euch nicht dazu zu weinen, nur weil ihr denkt, es wird von euch erwartet. In einer Trauerzeit sollte der gesellschaftliche Druck keine Rolle spielen. Trauer kann auch ohne ein Heulkonzert stattfinden. Wie gesagt, wir alle reagieren anders auf Trauer und du darfst deinen individuellen Weg auch zulassen. 

Ich habe für mich nämlich gemerkt: verlässt man die erste Phase der Trauer und nimmt diese an, dann ist die Wahrscheinlichkeit, mit der Trauer irgendwann umgehen zu können, extrem hoch. Wenn man nicht weiterkommt, spricht auch nichts gegen eine Trauerbegleitung oder professionelle Hilfe. Eines darf man dabei nicht vergessen: MAN DARF WEITERMACHEN. MAN DARF WEITERLEBEN. 

Comments

  • 5. Juni 2020

    Schöner Artikel und gut geschrieben. Ich habe auch meinen Papa verloren und kann deine Gefühle sehr sehr gut nachvollziehen. Wichtig ist wirklich dass man sich Zeit lässt und sich zu nichts zwingt. Ich wünsche dir alles Gute und hoffe, du kannst dich immer an die schönen Momente mit deinem Vater erinnern, die hoffentlich irgendwann den bitteren Stich des Verlusts verlieren. Grüsse Lilly

    • Carolin
      11. September 2023

      Vielen Dank für den schönen und ehrlichen Beitrag. Ich habe vor 2 Wochen meinen geliebten Papa verloren. Ich kann deine Phasen sehr gut nachvollziehen, zudem geben sie mir Trost. Mir hilft auch die Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit mit meinen Vater und der Gedanke daran, dass er sicherlich nicht gewollt hätte das ich den Kopf in den Sand stecke. Zudem schaue ich mir ganz viele Fotos von ihm an und gehe viel ins Grüne und TREF Mich mit Menschen, die mir gut tun.
      Ich fühle mit dir und dein Beitrag tat mir gut.

  • Mishaan
    18. März 2021

    Deine Geschichte hat mich extrem berührt. Ich habe ein sehr ähnliches Schicksal erlitten. Mein Vater verstarb am 05.03.2020. Ich bin selbst erst 22 und kann daher genau deine Emotionen nachempfinden…
    Ich wünsche dir weiterhin viel kraft!
    Danke das du deine Geschichte geteilt hast!

  • Anna
    19. Juni 2021

    Danke für diesen Artikel. Mein Vater ist am 08.06.2021 verstorben, nach mehreren Herzinfarkten. Es ging auch alles so schnell. Ich kann die Trauer schon annehmen, weil ich schon gespürt habe, dass er geht. Mein Papa war mein Anker, das spüre ich jetzt umso mehr. Es ist ein Abschied in tausend kleinen Schritten. Ich hab Angst vor der Beerdigung. Aber ich weiß auch, dass ich das schaffen werde. Danke, dein Artikel macht Mut und zeigt, dass ich auf dem richtigen (langen) Weg bin. 🙏

      • Nicole
        21. Oktober 2021

        Hallo,ich habe meinen vater vor 3 wochen An einem plötzlichen herzinfarkt Verloren. Das letzte mal habe ich ihn gesehen, als er mir vor 3 Monaten bei meinem umzug geholfen hat. Er ist extra 300km mit dem auto gefahren und Am selben tag auch noch zurück. Ich habe versucht mich hier einzuleben uNd mich an die neue arbeit/umgEbung zu gewÖhnen und habe meine eltern somit leiDer gottes Nach dem umzug nicht mehr besucht. Am 27,09.2021 kam dann der anruf meines brUders. Ich habe solchE schuLdgeFühle, dass ich meinE eltern Nicht mehr besucht habe. Wäre ich dort gewesen, hätte meine mutter neben ihm im bett Gelegen und hätte den moment des sterbens mitbekommen uNd hätte Den notarzt rufen können. Dieser gedanke geht mir einfach nicht aus dem kopf. Denn In der nacht, in der es passiert ist, Hat meine mutter eine etage über meInem vater geschLafen. (In meinem zimmer). Wäre ich da gewesen, hÄtte Ich dort geschlafen und sie bei ihm. SoMit ist er alleine, hoFfentlich nicht qualvoll verstorben. Anhand Seiner sterbeposiTion hat man gesehen, dass er starke kopfschmerzen hatte. (Er hatte seine hand am kopf und die augen zugekniffen). Es ist einfach so traurig. Ich Kann nicht mehr. Ich habe mich nur 1 woche Von der arbeit krankgeschrieben, da ich mich momentan seHr zwiNge, an der arbeit zu erscheinen, obwohl ich innerlich diesen verlust nicht verarbeiten kann unf unendlich traurig bin. Zudem bereite ich mich auf den tod meiner mutter vor, da diese An einer schweren unheilbaren krankheit leidet und der tod nicht weit weg ist. Diese gedanken begleiten mich tag unD nacht unD ich versuche stark zu sein, Bin aber innerlich verzweifelt. Mit 21 haBE ich meinen vater verloren und ich bete für meine mutter. Mein freund, der mit mir zusammen wOhnt, hilft miR leider nicht bei meiner trauer. Ich finde bei ihm keinen halt. Im 300km entferten Ort, also da wo ich lebe, habe ich auch leider in den 3 monaten keine enge bezugsperson geFunden.

  • Marie
    12. August 2021

    Danke für diesen Artikel, für deine so offenen Worte und ehrlichen Einblicke in eine so schwere Zeit. Ich habe meinen Vater vor drei Wochen verloren…wie bei dir kam es ganz plötzlich und unerwartet. Ich habe mich in vielen deiner Empfindungen wiedergefunden und es hat etwas tröstendes, mit diesem Schmerz nicht alleine zu sein. Ich danke dir liebe Lisa!

  • Tatjana
    25. August 2021

    Auch von mir ein herzliches Dankeschön! Mein Papa ging am 29.07.21. Es ist unsagbar schwer, er war mein bester Freund, mein Ratgeber, mein Fels in der Brandung. Auch wenn ich schon 47 bin, es ist irgendwie immer zu früh… wir haben 47 Jahre lang alles gemeinsam durchgestanden….Jetzt bin ich ans Meer geflüchtet, aber es macht irgendwie alles wenig Sinn, denn meine Erlebnisse wurden erst richtig gut, wenn ich sie mit ihm teilen konnte…Ich hoffe irgendwie immer noch, dass er daheim ist, wenn ich aus dem Urlaub nach Hause komme…mein Kopf kann und will es nicht verstehen…es tut sooooo weh!
    An alle trauernden Töchter/Söhne: Ich wünsche uns allen, dass der Tag, an dem der Schmerz nachlässt, möglichst bald kommt! Fühlt Euch umarmt!

  • Katja
    14. Oktober 2021

    Ich habe meinen Vater vor 3 Tagen verloren. Er war 2 wochen aufgrund corona im Krankenhaus.dann kam er RAUS in sein zu Hause. Ich durfte ihn an seinem Sterbebett noch sehen und bei ihm sein. Er nahm meine Hand und in diesem Moment war alles gut. Ich versuche mir ständig zu sagen, dass es ein Geschenk ist, dass wir noch zusammen waren. Aber es tut so verdammt weh. Ich kenne mein leben nicht ohne meinen Vater. Seit gestern suche ich im Internet nach ALLEn Möglichkeiten, dass der Schmerz weggeht. Ich habe deinen Artikel gefunden und merke, dass es mir hilft. Ich fühle mich nicht allein. Es gibt Menschen, die denselben Verlust erleben mussten. Danke, dass du deine Erfahrung geteilt hast

  • Jennifer
    17. November 2021

    Danke für diesen offenen und ehrlichen Artikel, der mir dabei hilft, meine Gefühle einzuordnen. Ich habe meinen Vater vor vier Tagen plötzlich verloren. Er starb an einem Herzinfarkt und ich muss ständig an unsere letzte Begegnung denken. Wir haben über Nebensächlichkeiten gesprochen und ich wünschte mir, ich hätte mir mehr Zeit für die Gespräche genommen oder hätte ihn nochmal in den Arm genommen. Das alles wird nun nie wieder möglich sein. Er war immer für mich da, hat sich für alles interessiert und wenn ich einen Rat brauchte, hat er sofort alles stehen und liegen gelassen, um mir zu helfen. die Trauer fühlt sich für mich wie Wellen an – mal weine ich gar nicht und im nächsten Moment bin ich untröstlich und frage nach dem „Warum“. Aktuell kann ich mir noch gar nicht vorstellen, wie das Leben ohne ihn wohl aussehen wird…

  • Gerald
    7. Februar 2022

    beim lesen des artikels hatte ich so ein starkes deja-vu… als hätte ich den artikel selbst geschrieben. soviele teile davon, zeiträume, momente sind bei mir fast ident verlaufen… bei mir ist es 2014 passiert, todesursache war dieselbe, die letzten worte an ihm, der letzte blick auf papa, das begräbnis mit der großen anzahl an leuten, studium und sponsion danach, der wunsch er könnte seine enkelin jetzt sehen.. fast unglaublich, dass das soviele überschneidungen zu deinen erlebnissen hat.
    ganz grosses danke für den artikel. er hat soviele emotionen in mir hervorgerufen und hilft mir gerade, die positiven dinge in den vordergrund zu stellen… mein papa wäre vor 1 woche 70 geworden…
    Alles liebe und gute!
    Gerald

  • Birgit Kanzleiter
    24. Mai 2022

    Danke für Deine WORTE.sie helfen geben mit und zuversichtlich. Mein vater liegt im sterben und es zerreißt mich gerade. Ihn so hilflos zu sehen. Furchtbar. Ich versuche jede freie Minute bei ihm zu seinn. Seine Hand zu halten so wie er es immer für mich getan hat. Lieber Gott erlöse ihn . Bitte.

  • Sascha
    21. August 2022

    Hallo,
    ich bin soeben auf diese Seite gestossen und Bin froh einige erfahrungen lesen zu können.
    mein vater ist vor 3 tagen an einem herzinfarkt verstorben.
    leider haben wir mehrere hundert kilometer auseinander gelebt, da er seine heimat verlassen musste.
    er hat seinen neuanfang in der ferne gesucht, da er kein stadtmensch war und die ruhe gesucht hat,
    die nacht des anrufts war einfach nur ein riesiger schock, da er forher mit mir noch aus dem krankenhaus tlefoneirt hatte und mich über seinen infrarkt informiert hatte.
    ich dachte, das er nun in sicherheit sei.
    in der nacht kam der anruf aus dem krankenhaus, dass er es nicht geschafft hatte.
    ich bin seit drei tagen nur am weinen. Ich bin 46 Jahre alt, er 73 und wäre naächsten monat 74 geworden. Da muss mansicherlich mit dem Tod rechnen, aber nicht bei ihm. er war immer topfit.
    Das schlimmste war, diese nachricht meinen kindern beizubringen.
    meine tochter muss für das nächste jahr schon die vorplanungen für den abi-ball begeinnen. ich hatte ihr gesagt, das opa unbedingt kommen muss, da er vor stolz geplatzt wäre.
    nun kann er nicht mehr kommen.
    ich komme einfach nicht aus dem weinen heraus. natürlich ist noch alles ganz frisch, aber diese lücke kann einfach niemaand schliessen.
    er war nicht nur vater sondern auch vertrauter und freund.
    als ich seine leiche gesehen hatte, spielte auch mein herz verrückt undwollte sich nicht beruhigen.
    das war den ärzten, die mir noch einige informationen über den tod meines vaters gaben zu heikel, daher wurde ich 2 stunden lang durchgecheckt inkl. blutabnahme.
    es war gott sei dank nur die aufregung. ich bin aber der meinung, das es ein gebrochenes herz ist.

    Gruss
    Sascha

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Est. 2012

Lisa Reiter ist eine Content Creatorin und Videografin aus Graz, Österreich. Ihre Arbeit konzentriert sich auf Reisefilme, die nicht nur die schönsten Orte und Momente einfangen, sondern auch die während einer Reise erlebten Gefühle vermitteln sollen.

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